Dienstag, 2. September 2008

21. Tag der Bestrahlung

Heute um 10:00 hatte ich einen Termin zum Anzeichnen der Felder auf der Maske. Das dauert um einiges länger als eine Bestrahlung. Dabei ist man genau so wie bei der Bestrahlung mit der Maske am Behandlungstisch festgeschnallt. Anstelle der Bestrahlung werden Fotos gemacht und Linien auf der Maske angezeichnet. Diese Linien bestimmen die Strahlungsfelder. In meinem Fall gibt es außergewöhnlich viele Felder. Deshalb dauert das Anzeichen dann auch entsprechend lange.Die Assistentin hat mich vorgewarnt, daß es lange dauern wird. Ich sollte mich doch an was schönes erinnern und entspannen, sagte sie nachdem sie mir die Maske afgesetzt hatte. Mir kam der erste Tag des Camino in den Sinn. Ein Tag an dem ich mich noch besonders gut erinnern kann. Er begann in Bayonne. Ich hatte in einem Hotel ganz in der Nähe des Bahnhofs übernachtet. Aufgeweckt wurde ich durch die Zugansagen, die man bis ins Hotelzimmer hört. Es war alles andere als ein Luxushotel. Doch immerhin hatte ich ein Zimmer für mich alleine und sogar ein eigenes Bad, nur die Toilette war am Gang. Ich wollte mir noch den Luxus eines Bads gönnen, denn in den nächsten 35 Tagen gab es wenig Aussicht darauf. Laut Auskunft am Bahnschalter, ich war noch getern Abend dort, sollte es erst am späten Nachmittag einen Zug nach St.Juan Pied de Port geben. Auf die Bahnauskunft vertraute ich doch nicht so recht, da ich vor meiner Abfahrt aus München im Internet eine Zug um 8 Uhr früh gesehen hatte. Gegen 7 Uhr ging ich schon zum Bahnhof. Was für gute Idee nicht auf die Bahnauskunft zu vertrauen, es war ein Zug um 8 angesagt. Nun mußte ich nur noch eine Fahrkarte bekommen. Es gab einige Automaten. Der erste akzeptierte nur Kreditkarten, jedoch nicht die meine, der zweite dann war auch mit Bargeld zufrieden. Es gelang mir tatsächlich eine Fahrkarte zu bekommen. Dann war Frühstück angesagt. Ich bestellte reichlich. Frisch gepressten Orangensaft, Schokocroissant und Capuccino. Am Gleis 1 stand bereits der Zug nach St. Juan Pied de Port. Vor daß ich einstieg wollte ich mich noch vergewisseren, daß ich in den richtigen Zug einstieg und fragte einen Herrn mit Baskenmütze. Es stellte sich heraus, daß es wohl kein Franzose war sondern Deutscher, wie er versuchte mir eine Antwort zu geben. Ich sagte, daß ich auch Deutsch sprechen würde. Aber an der Sprache lags wohl nicht. Er wußte selber nicht ob es der richtige Zug war und wartete lieber, bis der Zug angesagt würde. Ich stieg dann trotzdem ein und er folgte mir. Wir saßen zwar im gleichen Abteil, doch bis St. Juan viel kein Wort. Der erste Weg in St. Juan war ins Pilgerbüro um das Credential zu bekommen. Ich bekam das wichtige Dokument, mußte es ausfüllen, meinen ersten Stempel und eine Plastikhülle. Der Pilgerbetreuer sagte mir noch, daß ich auf keinen Fall die Route Napoleon gehen dürfte, das sei Lebensgefählich und eine Karte mit der Alternativroute, wünschte mir viel Glück. Das Credential sollte ich immer griffbereit haben und mir keine Sorgen machen, das Credential könne man nicht verlieren. Vor daß ich die Stadt verließ gönnte ich mir noch ein zweites Frühstück. Eine Gruppe Österreicher, offenbar auch Pilger saßen mir gegenüber. Die waren am Weintrinken am hellen Vormittag. Die sollte ich später noch öfter begegnen und mich immer wieder wundern, wie die mit ihren Bäuchen und für meinen Geschmack zu viel Alkohol, den Weg wohl schaffen würden. Doch sie waren immer dabei, bis am letzten Tag vor Santiago. Erst da beichteten sie mir ihr kleines Geheimniss. Beim Stadttor angekommen entschied ich mich noch kurz in die Kirche zu gehen. Ich hatte das Gefühl Gottes segen bekommen zu haben. Aber nun schleunig los, es war eine lange Etappe von über 30 Km und es war schon 11 Uhr am Vormittag. Trotzdem fühlte ich mich wie an einem Sonntag, auf einem Sonntagsspaziergang. Der Rucksack war leicht, Proviant hatte ich noch keinen und ich ging frohgemut aus der Stadt, die Hände in den Hosentaschen ging ich fröhlich bergauf. Oh da machten zwei Pilgerinnen gerade rast. Die eine war mit ihrem recht schweren Rucksack beschäftigt, die andere winkte mir fröhlich zurück. Eigenartig, auf den Steigungen überholte ich die anderen Pilger ganz locker, ich mußte wohl doch eine gute Kondition haben. Gegen ein Uhr Mittag kam ich durch ein Dorf mit einem Supermarkt und Restaurant. Ich bestellte einen Liter Wasser, erst ein Sandwich, dann überbackene Calamari und Pommes Frittes. Es war zwar etwas viel, doch Enerie war ja nötig, bis zum pass waren es sicher noch 20 KM. Ich sah den Deutschen mit Baskenmütze vorbeimarschieren, der ein langes Baguette am Rucksack festgemacht hatte. Im Supermarkt, versorgte ich mich mit ein Liter Wasser, ein frisches Stück Brot das gerade aus dem Backofen kam, etwas Käse und ein paar Nüssen. Das müßte auf jedenfall bis zum Abend reichen. Auf einer Steigung holte ich wieder mal zwei Pilger ein. Es waren Horst und Melanie, mit denen ich dann 35 Tage Später die Ankunft in Santiago feiern sollte. Den Herrn mit der Baskenmütze, der nicht sehr gesprächig war begegnete ich immer wieder. So weit, daß wir uns gegenseitig vorstellten kam es nie. Erst ganz zum Schluß, kurz vor Santiago erfuhr ich daß er Eugen heist. Unterwegs schimpfte er immer wieder über die Spanier und den Weg. Einmal erzählte er daß er in einer Bar nicht bedient worden ist. Er war dermaßen erbost darüber, daß er sagte: "Den Laden kauf ich mir noch und dann werde ich Ihn niederbrennen bis nichts mehr von ihm übrig ist. Ein andermal kam er mit dem Statement:"Ich werde den König von Spanien verklagen wegen Irreführung der Pilger". Meine letzte Begegnung mit ihm war die lustigste. Er behauptete daß Spanische KIlometer verschieden von den Deutschen sind und zwar seien sie kürzer um die Pilger zu täuschen. Einer von den Österreichern war auch dabei und bestätigte seine Aussage. Um es zu untermauern zeigte er mir seine sehr detailierte Landkarte mit den Kilometerangaben. Dann lüftete er mir sein Geheimniss. Die Österreichische Gruppe hatten einen Bus mit dem sie bis zu 3 Kilometer an die Herbergen heranfuhren, dann ausstiegen und sich wie normale Pilger den Herbergen zu nähern. Der Fahrer, der im Bus übernachtete holte sie dann wieder 3 Kilometer nach der Herberge ab. Das war also das kleine Geheimniss. Irgendwann holte ich wieder mal Horst und Melanie ein und wir gingen ein Stück gemeinsam. Horst meinte, das sei eigenartig, daß jetzt Pilger am Strasenrand ihre schläfchen machen.Mir ahnte etwas. Als wir näher kamen, sahen wir, daß der Pilger gar nicht schlief, sondern einen ziemlich zermürbten Eindruck machte. Er sagte, daß er keine Ahnung habe wie er wohl weiterkommen könnte, er hätte einen Krampf und könne unmöglich noch einen Schritt machen. Melanie packte ihren Rucksack aus um nach einem Krampflösenden Mittel zu suchen. Ich konnte nicht weiter helfen und machte mich wieder auf dem Weg. Zum Glück sah ich am Abend in der Herberge sowohl Horst und Melanie als auch den Pilger vom Straßenrand. Er war glücklich angekommen. Anscheinend sind sie von einem Auto mitgenommen worden. Der Pilger vom Straßenrand stellte sich mir als Carlos aus Brasilien vor und war dann immer gut gelaunt. Das einzige Problem mit ihm war, daß er laut schnarchte es aber nie zugab. Ich jedoch mußte den ganzen Weg zu Fuß laufen, und er war sehr beschwerlich. Es ging durch einen tiefen Wald wo es noch viel Schnee gab. Jeder Schritt war mühsam im Schnee und es wurde schon bald dunkel. Irgendwann lichtete sich dann der Wald und die Passhöhe konnte man erahnen. Dort sollte es das Rolandsdenkmal geben, dem Ritter Roland zuehren, der das Leben Karls des Großen gerettet hatte indem er sein Leben geopfert hatte. Der Wind war allerdings schon so stark und es wurde auch immer dunkler und kälter, daß ich gar nicht nach dem Denkmal suchte sondern mich beeilte den Pass zu überqueren. Ich wollte dort nicht so wie der Held Roland enden. Endlich kam das Kloster Roncesvalles in Sicht. Ein riesiger Bau. Das Pilgerbüro hatte noch offen und ich bekam meinen zweiten Stempel in das Credential.Die beiden Pilgerinnen die ich kurz nach St. uan Pied de Port überholt hatte waren auch schon da. Die ältere von den beiden, fragte ich in meinem besten Spanisch wo es denn zur Herberge ging. In einem excellenten Spanisch erklärte sie mir den Weg. Ich sollte die beiden später noch kennenlernen, Antje und Sandra aus Hamburg. Antjee sprach so gut Spanisch weil sie viele Jahre in Santiago de Camostella gewohnt hatte. Die Herberge, ein riesiges Gebaüde, das einer Kirche glich war nicht zu übersehen. Ein riesiger Schlafsaal war im Kirchenschiff untergebracht. Von der Decke hingen zwei enorme Kandellaber mit an die Fünfzig Arme wo die Glühlampen angebracht waren. Der Raum war gefüült mit Stockbetten, sehr eng aneinander gereit. Es war gerade noch Platz für einen Schreibtisch wo man sich anmelden mußte. Die Leitung hatte eine Gruppe von Holländern, die nachdem ich ihnen das Credential gezeigt hatte wo sie meine Italienische Nationalität notierten, nicht wenig erstaunt waren als ich mich mit ihnen auf Holländisch unterhielt. Vor, daß sie mir das Bett zuteilten schickten sie mich noch zur Pilgermesse. Nach der Messe wurden die Anzahl der Pilger aus den verschiedenen Nationen vorgelesen, ich war natürlich nicht dabei, da ich ja erst ganz zum Schluß ankam.Der Priester bat dann die anwesenden Pilger einzeln zum Altar zu kommen um den Pilgersegen zu empfangen. Nach der Meese luden mich dann Horst und Melanie zu einem Bier ein. Sie hatten sich für das gemeinsame Pilgerabendessen angemeldet. Mir war nicht nach Abendessen zumute, lieber hatte ich eine Dusche und ein Bett um mich auszuruhen. Die Duschen waren im Kellergeschoss. Dort gab es auch einen großen Tisch an dem ein paar Pilger saßen. Dahinter waren kleine Tischchen mit Internetautomaten. Man mußte einen Euro haben um ins Internet zu gelangen.Ich hatte kein Kleingeld. Am Tisch fragte ich eine sehr sympatische Frau ob sie einen Euro hätte. Ein junger Bursche kam ihr jedoch zuvor und wechselte mir das Geld. Ich hatte gerade mal zwanzig Minuten um über den ersten Tag zu schreiben.Allerdings war ich so müde, daß ich gerade mal schrieb in Roncesvalle angekommen zu sein und den Tisch hinter mir mit den Pilgern erwähnte. Erst heute hatte ich die Gelegenheit, den Tag nochmal bis in alle Einzelheiten zu beschreiben. Falls es einigen uninteressant scheint, einfach den Kursivteil hinunterscrollen. Die Maske wurde mir jedoch noch immer nicht abgenommen. Ich kam mir wieder mal vor wie jemand der den Gipfel erreichen will und einfach nicht aufgeben kann. Trotzdem, die Zeit verging nicht. Ich dachte an die schöne Maske, die man mir am Ende der Behandlung mitgeben würde. Ich kam auf die Idee ein Kunstwerk zu schaffen. Auf der Maske würde ich zusätzlich zu den Strichen noch 35 Punkte anbringen, die Berührungsempfindlich wären. Tippt man mit dem Finger auf einen der Punkte, dann würde an einem Bildschirm eine Geschichte erscheinen. Zu jedem Bestrahlungstag eine Geschichte. Der Name des Kunstwerks würde "Dreammask" sein. Die Geschichten könnte ich vom blog verwenden. Ich überlegte sogar die Details, wie Berührungssensor und Microcomputer der den Bildschirm steuert.Irgendwann hörte ich die Stimme, daß es nicht mehr allzu lange dauern würde. Mein Kopf schmerzte da er in durch die Maske in die Schale hineingepresst wurde.jetzt hat Aufgebensowieso keinen Sinn mehr und so hielt ich bis zum Schluß durch. Es muß wohl über eine Stunde gewesen sein und nicht 20 bis 40 Minuten. Man versicherte mir, daß es das letzte Mal war, daß so eine langwierige Anzeichnung der Felder notwendig war. Jetzt hatte ich noch gerade mal zwei Stunden um mich zu erholen, bis dann die Strahlenbehandlung gemacht wurde. Für die Strahlenbehandung hatt ich jedoch kein Bild parat. Da viel mir ein was mir meine Schwägerin, die Karin in einer email geschrieben hatte. Hallo Roland Habe heute die letzten Behandlungstage deines blog gelesen. Interessant, dass du immer in deine Vergangenheit und Kindheit abtauchst, wenn du chemo oder Bestrahlung hast. Eine schöne Kindheit gibt einem auch sehr viel Kraft. Aber ich habe das Gefühlt, Du denkst zu viel an die Vergangenheit! Solltest Du Dir nicht auch Zukunftpläne schmieden und neue Ziele stecken? Oder hast du im Augenblick dazu noch keine Kraft. Ich wünsche Dir, dass du auch wieder nach vorne siehst und damit auch wieder neue Energie gewinnst. Bis bald Karin Karin hatte recht! Jetzt an die Zukunft denken war angesagt. Ich stellte mir vor wie ich mich nach den Behandlungen erholen würde. Ich stellte mir die Erleichterung vor, wie nach einem Zahnarztbesuch, der zu Ende war. Nicht mehr am Tropf zu hängen, mit Yoga und Qi Gong weiterzumachen und wieder erste kleine Wanderungen zu machen. Zum Schluß eine Wallfahrt von Wien nach Mariazell zu gehen und sei es auf Etappen. Ich stellte mir vor, vollständig gesund zu sein. Die Bestrahlung war im nu vorbei, ich konnte jetzt wieder etwas in den Park hinaus. Am Nachmittag hatte ich dann Besuch der Dame von der Seelsorge. Ich bedankte mich für die CD, die sie mir zukommen ließ. Es war eine CD von einer Harfenspielerin aus München und einem Englischen Geiger mit dem Thema "Camino de Santiago". Die Harfenspielerin kannte sie persöhnlich. Sie erzählte, daß diese Musikerin mit ihrer Harfe den Camino machen wollte. Die Harfe hat man ihr jedoch im Auto mitgenommen. Allerdings wurden die regelmäßigen Konzerte ihr zu viel und so machte sie den Rest des Camino ohne Instrument. Die Seelsorgerin erzählte mir, daß sie morgen mit ihrem Mann nach Jerusalem fahren würde. Sie würde mir dann nach ihrer Rückkehr von der Reise erzählen. Der Rest des Nachmittags verging mit blog schreiben.